„Ich musste immer arbeiten, seit ich 15 war. In Schwerin habe ich als Küchenhilfe gejobbt, später, neben dem Studium in Frankfurt an der Bar. Gegen Ende des Studiums habe ich in die Bildungsarbeit reingeschnuppert. Ich habe DGB-Berufsschultouren für die Gewerkschaft gemacht, bei der Starthilfe Hochtaunus mit Jugendlichen gearbeitet, die schwer ins Berufsleben kommen. Da habe ich gemerkt, Bildung, das ist es für mich, das macht mir sehr viel Spaß. In kleinen Gruppen arbeiten, Friseurhandwerk, Handel, Logistiker. Mit denen habe ich gemeinsam Stoff erarbeitet und Mathe geübt, aber eigentlich habe ich ihnen beigebracht, dass sie etwas können und wert sind. Denn die haben in ihren Leben oftmals nur eingesteckt. Ich habe selbst keine klassische Bildungsbiografie und keinen bildungsbürgerlichen Hintergrund, deshalb kann ich das gut spüren und weiß, wie wichtig es ist, Wertschätzung zu erhalten."
Arthur, eure Themen reichen von Work-Life Balance über Ökonomie und Demokratie bis hin zum Arbeitsrecht und geschichtlichen, europäischen sowie ernährungs- und umweltpolitischen Inhalten.
Was ist euer Anliegen als gewerkschaftliche Bildungseinrichtung?
Wir wollen Menschen erreichen durch attraktive Angebote in der politischen Bildung. Das heißt, ich möchte ein Thema haben, das soll interessant sein für die Leute, sie sollen draufklicken und sagen, ja stimmt, das beschäftigt mich schon die ganze Zeit.
Dann geht es darum, Menschen zu ermächtigen, also der ganz klassische gewerkschaftliche Bildungsbegriff, die Leute erwerben Wissen, damit sie sich in ihrer Umwelt etwas bewegen können und wissen, was passiert. Wir wollen dabei helfen, Dinge einordnen zu können. Zum anderen sollen sie Spaß haben an Bildung. Bildung ist nicht: ‚ich sitze vor der Tafel und da erzählt mir jemand was und ich muss das hinterher wieder ausspucken‘. Bildung ist gemeinsames Lernen, gemeinsam Wissen zu erschließen, damit sie sich in ihrer Lebens- und Arbeitswelt orientieren können, dass sie anfangen, darüber nachzudenken, es zu analysieren. Dann, im besten Fall, nehmen sie in ihrem eigenen Leben kleinere Veränderungen vor und gehen irgendwann in ihrem weiteren Lebens- und Arbeitszusammenhang den weiteren Schritt und sagen, ich stehe ein für Werte, ich will etwas verändern. Politische Bildung.
Soweit zur Beschreibung. Wie definierst du politische Bildung?
Mein politischer Begriff ist – nicht zuletzt durch den Einfluss der kritischen Theorie im Studium – ziemlich weit: das Private ist politisch. Das ist meine Grundthese. Alles ist politisch. Das habe ich als Bildungsreferent gemerkt, als ich meine ersten Anträge stellte. Man muss darin kennzeichnen, welche inhaltlichen Blöcke der Bildungsurlaube politisch sind. Bei mir waren das fast alle, aus meinem Selbstverständnis und aus meiner tiefen Überzeugung. Der Bearbeiter aus der Verwaltung sah das überhaupt nicht so.
Für das Bildungswerk ist es das hessische Bildungsurlaubsgesetz, HBUG, das den Freistellungsanspruch begründet. Die Seminare müssen sich nachweislich mit Gesellschaftspolitik befassen. Sie müssen gesellschaftliche Strukturen analysieren und differenzieren.
"Bildung ist nicht: ‚ich sitze vor der Tafel und da erzählt mir jemand was und ich muss das hinterher wieder ausspucken‘. Bildung ist gemeinsames Lernen, gemeinsam Wissen zu erschließen, damit sie sich in ihrer Lebens- und Arbeitswelt orientieren können, dass sie anfangen, darüber nachzudenken, es zu analysieren."
Wie sucht ihr die Themen aus?
Wir haben ein dreistufiges Verfahren. Das Bildungsauftragstreffen der ver.di-Bildungsträger, das sind die Bildungszentren und die Bildungswerke. Wir diskutieren dann Themen für das jeweils übernächste Jahr. Dabei schauen wir bundesweit, was läuft wo gut. Dann haben wir den Teamenden-Arbeitskreis. Die Teamenden bestimmen die Themenauswahl mit. Sie sagen, welche Themen sie für interessant und wichtig halten. Sie sind die Anbindung an die Betriebe, denn die Teamenden kommen aus den Betrieben. Und am Ende natürlich die Bildungsreferentin, die all das kondensiert und aus der Vielzahl an Vorschlägen auswählt. Wir müssen, wie gesagt, für das übernächste Jahr planen. Manchmal sind wir da vielleicht auch unserer Zeit voraus. Es gibt Themen, die uns aktuell erscheinen, aber bei den Teilnehmenden keinen Anklang finden. Und in zwei Jahren ist das Seminar bis auf den letzten Platz in kurzer Zeit ausgebucht.
Was läuft derzeit grade gut?
Was immer stark nachgefragt wird, sind Themen rund um Arbeitsbelastung, psychische Belastung, Work-Life-Balance. Das ist der Klassiker und steht für die Beschleunigung der Arbeitswelt, die uns seit Jahrzehnten einholt, wenn nicht gar überholt. So viele Seminare können wir gar nicht ins Programm nehmen, wie das ausgebucht ist. Aus bildungspolitischer Sicht gefällt mir daran nicht, dass es bei diesen Seminaren meist nur um individuelle Lösungen geht. Die Leute wollen etwas für sich allein verändern. Das ist gut und legitim. Mir geht es aber mehr um gesellschaftspolitische Lösungen. Ich würde mich sehr freuen, wenn politische Themen wie ökonomische Krisen, Weltwirtschaft oder digitale Mündigkeit viel mehr in den Fokus rückten. Das sind aber nicht die Themen, die rasch ausgebucht sind.
"Ich habe mal einen Bildungsurlaub zu Corona gegeben, da gab es wirklich viele sehr unterschiedliche Ansichten. Ich würde sagen, es war sehr nah an der gesamtgesellschaftlichen Diskussion. Ich habe ihnen gesagt, das ist okay, ich will, dass ihr alle in diesen 5 Tagen euren Platz habt. Und das war befruchtend für die Gruppe."
Stell dir ein Bildungsseminar vor, das du selbst gibst. Wie steckst du deine Ziele? Was muss passieren mit den Menschen im Seminar, damit du hinterher sagst: Ja! Das war erfolgreich!
Wenn Menschen mit wenig Vorwissen kommen, dann finde ich es wichtig, ihnen eine erste Orientierung in dem Themenbereich zu geben, ihnen Analysewerkzeug an die Hand zu reichen, sie in den gemeinsamen Austausch zu bringen, sie die unterschiedlichen Perspektiven beleuchten zu lassen. Ich habe mal einen Bildungsurlaub zu Corona gegeben, da gab es wirklich viele sehr unterschiedliche Ansichten. Ich würde sagen, es war sehr nah an der gesamtgesellschaftlichen Diskussion. Ich habe ihnen gesagt, das ist okay, ich will, dass ihr alle in diesen 5 Tagen euren Platz habt. Und das war befruchtend für die Gruppe. Sie haben ihre unterschiedlichen Meinungen und Positionen respektvoll diskutiert.
Du bist seit einem guten Jahr Geschäftsführer des ver.di Bildungswerks Hessen. Mit dir ist die jüngere Generation von Bildungsarbeitenden in Verantwortung gekommen. Was würdest du sagen, machst du anders als vorige Generationen?
Ich habe in der Tat gar nicht viel anders gemacht als meine Vorgängerin. Sie hatte einen offenen Bildungsbegriff, subjektorientiert, den Prozess in den Mittelpunkt gestellt. Dabei bin ich geblieben.
Zwei Sachen habe ich anders gemacht: ich versuche Medien als Querschnittsthema in die Bildungsurlaube zu bringen. Und ich wollte das Programm nach außen stärker sichtbar machen und damit mehr Menschen erreichen. Deshalb lag die Modernisierung der Website in meinen Händen. Es sind jetzt täglich zirka 100 Klicks auf der Seite. Das ist gut und zeugt von einem hohen Interesse. Bei unter 2% der Menschen in Hessen, die Bildungsurlaub nehmen, können und wollen wir einfach mehr Menschen damit in Berührung bringen.
Was hattest du dir vorgenommen fürs erste Jahr und hast du es geschafft?
Ich wollte die Verstetigung unseres Programms und weiter neue Zielgruppen erschließen. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Bildungswerk zu schaffen. Beides ist auf dem richtigen Weg.
Das ver.di Bildungswerk Hessen e.V. ist einer von drei Trägern in Hessen, die politische Bildung anbieten. Daneben gibt es noch das DGB Bildungswerk Hessen und Arbeit und Leben Hessen. Diese Drei sind für 95 Prozent der politischen Bildung im Bundesland verantwortlich.